Freitag, 11. Juli 2008

Goin' home...

Kerle... Da war aber mal eine lange Zeit Stille hier jetzt. Aber dieses mal hab ich wenigstens eine richtig richtig gute Ausrede: Diese (/$§/(%&/)- Diplomarbeit!! Die letzten Wochen habe ich leider nicht sehr viele andere Dinge gemacht außer mich mit selbiger zu beschäftigen. Wäre jetzt etwas schwach zu erzählen, dass dazwischen nicht mal 45 Minuten für nen Post blieben - aber wenn man den ganzen Tag damit verbringt zu formulieren, ist das nicht unbedingt das allererste was einem in einer Pause einfällt. ;-)

Einmal mehr ein dickes Sorry an diejenigen, die hier öfter geschaut haben - ich gelobe Besserung für Hong Kong ab September!

Diese Zeilen schreibe ich euch übrigens schon wieder aus Deutschland. Vorgestern Nachmittag um 15:50 Uhr habe ich mit Flug BA883 ukrainischen Boden verlassen und bin mit einer kurzen Stippvisite in London wieder in Frankfurt angekommen. Sagte ich London? Dem geneigten Leser mit der 3+ in Erdkunde fällt an dieser Stelle auf, dass das ja nun nicht unbedingt der direkteste Weg war - um genau zu sein bin ich sogar direkt über Frankfurt UND Köln geflogen, aber so schnell gehts eben, wenn man in einer globalisierten Welt für kleines Geld und mit viel Gepäck nach Hause will... Und nochmal: Sagte ich London? Heathrow? Neues Terminal? Gepäckprobleme??? "Alles lang vorbei..." könnte mir besagter Leser wieder antworten - aber ich bin vorgestern abend eines besseren belehrt worden. Die Geschichte erspar ich euch - es ging alles nochmal gut, mein Koffer ist seit gestern hier und alle Klamotten gewaschen für den nächsten Step Reise. (Danke dafür! :-)

Was für ein Fazit zieht man jetzt aus einer so langen und gleichzeitig doch so kurzen Zeit in der Ferne? Ich muss sagen - ein positives! In den letzten drei Monaten habe ich sehr sehr viele extrem intensive Erfahrungen machen dürfen - sowohl positive wie auch negative. Und rückblickend bereue ich keine einzige...

Ich habe einen Einblick in ein Land bekommen, das nach Russland mit Abstand das größte auf dem europäischen Kontinent ist. Ich habe seine Hauptstadt kennen lernen dürfen, die sich im Vergleich mit vielen Metropolen der Welt absolut nicht zu verstecken braucht (und 1-2 hab ich ja doch schon gesehen...). Eine Stadt, deren Zentrum einfach nur wunderschön und immer voller Leben ist und die mit Sicherheit die grünste Großstadt ist, die ich je gesehen habe - und die trotzdem (genau wie das Land in dem sie sich befindet) in unserer westlich begrenzten Wahrnehmung einfach ausgeblendet scheint - genau wie alles andere, was sich hinter diesem eisern-bleiernen Vorhang in den Köpfen immer noch verstecken mag. Schade drum...




Ich habe Bekanntschaft mit einem Land gemacht, das sich auf einer ständigen Suche nach sich selbst zu befinden scheint. Politisch eingeklemmt. Zwischen dem großen Bruder Russland, der doch irgendwie in den letzten Jahren sehr fremd geworden ist - diesem aber wie in einer Zweckehe nach wie vor noch sehr verbunden in der Angst vor der großen Leere DANACH. Und "dem" Westen, dem vermeintlichen Fortschritt, der NATO und der EU, Zugängen zu westlichen Grenzen und Märkten und einer damit verbundenen Abkehr vom großen Bruder.




Gesellschaftlich und kulturell verzweifelt bestrebt, alles russische oder sogar sowjetische möglichst schnell von sich abzustreifen und manchmal fast etwas erschrocken auf der Suche nach etwas, das nach diesem Striptease dann noch als wirklich UKRAINISCH übrig bleibt, was dann aber mit einem Stolz gefeiert und zelebriert wird, der seines gleichen sucht.

Dankbar alles westliche annehmend, dass dieses Vakuum zumindest oberflächlich zu füllen vermag, so dass man zu keiner Uhrzeit und an keinem Ort befürchten braucht, ein Bedürfnis nach McDonalds oder einem Produkt aus dem Sortiment der Coca Cola Company könnte unerfüllt bleiben. So dankbar, dass man in großen Einkaufszentren mit allen großen Modenamen, die wir kennen, auf der Suche nach Souvenirs zwar Fußballtrikots aus Portugal, Schweden, Italien, Brasilien oder Deutschland findet, bei der Frage nach dem ukrainischen Pendant aber nur müde angelächelt wird, um dann in der U-Bahn fündig zu werden.

Ein Land, immer noch gelähmt durch korrupte Strukturen, die im Hintergrund geführt werden von "Männern, die ihr schwarz verdientes Geld in große schwarze Autos mit schwarz getönten Scheiben, schwarze Anzüge, schwarzen Kaviar und schwarzhaarige Frauen investieren und ihre schwarzen Seelen beim Urlaub am schwarzen Meer erholen." (Danke für dieses wunderbare Zitat Vera! :-) In all seiner Instabilität jedoch mit einer jungen Demokratie bestückt, die zwar Neuwahlen im Monatsrhythmus und hitzige (teilweise handgreifliche) Debatten in den Parlamenten produziert, aber wenigstens noch zu LEBEN scheint.

Wirtschaftlich im ständigen Kampf gegen eine galoppierende Inflation, die im letzten Jahr nur knapp weniger als 20% betrug und auch dieses Jahr wohl noch zweistellig bleiben wird. Erstarkend durch noch schneller ansteigende Löhne, die jedoch hauptsächlich in den großen Städten die Bevölkerung erreichen. Ein Land... Dunkle Wolken am Horizont beobachtend mit Blick auf die Überalterung seiner Bevölkerung - bis 2050 wird die Ukraine EIN DRITTEL ihrer Bevölkerung verloren haben. Und schon heute erhält ein Rentner nicht mehr als einen zweistelligen Eurobetrag im Monat, um davon zu leben - bei Lebensmittelpreisen die gerade in Kiew den unseren in vielen Bereichen um nichts nachstehen. Ein Land, in dem sich viele Menschen keine Krankenversicherung leisten können, in dem einen herzerweichende Spendenaufrufe von Kollegen im Büro erreichen, um die Reha für die 5jährigen Tochter einer Bekannten zu bezahlen, auf die ein Metallregal zusammengestürzt ist. Worum bitte machen WIR uns hier eigentlich sorgen??? Wie klein sind unsere Probleme?




Ich habe einen Schlag Menschen kennen gelernt, für den Gastfreundschaft das allerhöchste Gebot zu sein scheint - egal ob es sich hierbei, um Kollegen, meine Mitbewohner aus Odessa oder einfach auch nur VÖLLIG FREMDE gehandelt hat. Sobald irgendwer das gebrochene Russisch aus meinem Mund gehört hat, wurde ich behandelt wie ein uralter Freund, den man nur am Anfang gerade nicht wieder erkannt hat. Menschen, die keine Sekunde darüber nachdenken, zu geben oder abwägen, was sie dafür zurückbekommen könnten. Selbst meine Mitbewohner, deren Gehalt ich im Rahmen meiner Arbeit zu sehen bekam, wollten es sich nicht nehmen lassen, mir unbedingt ein Abschiedsgeschenk zu kaufen und mich noch ein letztes mal zum Essen einzuladen...




Kurzum gesagt: Das Leben hatte die letzten 3 Monate viele kalte Duschen für mich parat, die ich vielleicht auch etwas zu sehr aus diesem Blog rausgehalten habe, wer weiß... - aber auch eben so viele unglaublich bewegende und prägende Momente, dass ich diese 84 Tage Ukraine um keinen Preis missen möchte.

Wer auch immer jetzt neugierig geworden sein sollte - ich stehe als Reiseleiter gerne zur Verfügung!

Jetzt verabschiede ich mich von dieser Stelle erstmal etwas länger in den Süden Amerikas. Ich habe mir ehrlich noch keine Gedanken gemacht, wann es hier den nächsten Post zu lesen gibt....

Am 01.08. komme ich nach good ol' Germany zurück, um meine Diplomarbeit endlich abzuschließen und mich dann Ende des Monats nach Hong Kong aufzumachen - spätestens dann gibt es hier wieder regelmäßiger ein Blog-Leben!

Bis dahin vielen Dank an alle, die sich noch die Mühe gemacht haben bis heute hier zu schauen und mitzulesen und Do Swidanija Kiew! "Bis zum Wiedersehen!!"